Ich habe bereits oft erlebt, dass das Leben in seinen schrecklichsten, gefürchtetsten, dunkelsten Momenten mitunter urkomische Kapriolen schlägt. Den schwarzen Humor haben nicht die Engländer erfunden.
Es war das Leben selbst.
Schwarzer Humor schützt vor Schockstarre, vor dem schmerzhaften Gefrierbrand der Nähe des Todes, ja–sogar vor dem Wahnsinn und der Angst, die ein SOFORTIGES Verstehen und Erkenntnis mit sich bringen.
Mein Papa starb auf der Intensivstation des Krankenhauses Wermelskirchen.
In jeder Minute seines Aufenthaltes wusste ich ihn in professionellen und liebevollen Händen.
Danke an Astrid Müller und Carsten Wagner und all die anderen.
Ich wusste, dass ihr bei ihm ward und dieses Wissen beruhigte mich.
Am Abend als Papa starb, gab es mehrere Vorkommnisse,
die man eigentlich gar nicht aufschreiben, sondern nur live erzählen sollte.
Vorkommnisse, die, wenn es den Schutzwall des tiefschwarzen Humors nicht gäbe, mich völlig in den Wahnsinn getrieben hätten.
Wir, d.h. mein Mann, mein Bruder Andy, meine Mutter und ich, dümpelten in der Warteschachtel vor der Intensivstation und warteten in fassungsloser Schockstarre darauf, uns von Papa verabschieden zu dürfen.
Minuten werden in der Warteschachtel zu Jahren.
Das liegt nicht nur am eigenen seelischen Zustand, es liegt auch an der Warteschachtel Atmosphäre.
(Carsten Wagner,- die Sache mit dem Bild steht noch!! Nur zur Erinnerung!)
Mit uns in der Warteschachtel stand eine alte Dame, deren Ehegatte frisch auf der Intensiv eingetroffen war.
Die liebe Assistenzärztin kommt und wünscht herzliches Beileid.
Sie drückt meine Hand, die meines Bruders, die meiner Mutter, wendet sich zu der alten Dame und sagt ebenfalls:“Herzliches Beileid.”
“Nein!! Ich bin doch die Frau. X! Mein Mann liegt..der war doch grad noch….!”
Schockiert reisst die arme Ärztin die Augen auf:“Oh! Nein! Der lebt noch! Entschuldigung!”
(In diesem Moment taucht durch die Teerschlacke der Trauer ein Leuchtstrahl schwarzen Humors und ich beobachte in Trance, wie ich ein gequältes Lachen unterdrücke.)
Langsam und verlegen wendet sich die Ärztin meinem Mann zu; zögerlich, sehr langsam und scheu streckt sie ihm langsam die Hand hin und fragt unsicher, leise und vorsichtig:“ Uuuuund? Siiiiiieeee? gehöööörn? daaaazuuuu?”
“Ja. Ich bin der, äh, Ehemann”, sagt Hardy und zeigt auf mich. Ich winke.
Die errötete Assistenzärztin sagt:“Sie können gleich kommen”, wendet sich mit
wehendem Kittel ab und rauscht schnellen Schrittes von dannen.
Die fremde, alte Dame geht zu meiner völlig unter Schock stehenden Mama und umarmt sie lange.
Mein Herz freut sich darüber.
Gefühlte 2 Jahre später (ca. 3 Minuten) dürfen wir zu Papa.
Alle Geräte und Aufbauten sind verschwunden, – und es waren viele: Defibrilator, Dialysemaschine, diverse Schläuche und
Apparaturen. Und das dunkelgrüne, aufblasbare Bewegungsbett, dass ihn hin und her bewegen musste, damit die Lunge nicht einseitig belastet wurde, steht, wie ein verlassenes kleines Schlauchboot auf dem Flur.
Ich bemerke, dass ich mich noch in der SchockMitte der Wippe befinde- entweder endet es in schreien, kreischen, weinen in Ohnmacht fallen, oder ich finde den schwarzen Humorknopf —ansonsten: WAHNSINN.
Und da liegt mein Papa. In einem normalen Krankenbett.
Ohne Schläuche. Ohne grünes Schlauchboot.
Kein Robocopelektronikgedöhns mehr um ihn herum.
Nur Papa, quasi unplugged.
Mein Papa.
Den ich sooo sehr geliebt habe,
dass es mir manchmal viel zu wehtat,
um es ertragen zu können.
Aber ich sehe einen Frieden auf seinem Gesicht, einen
Frieden, den ich schon lange nicht mehr bei ihm gesehen habe-
und in diesem Moment entscheide ich mich dafür,
ihm diesen Frieden zu gönnen; – weil ich ihn lieb habe.
Egal wie schwer es MIR gerade auch fallen mag.
Just in diesem Augenblick wird der schwarze Humorknopf in mir aktiviert.
Meine Mutter spricht mit Papa,
wir alle sprechen mit ihm; zusammen, einzeln.
Verabschieden uns. Jeder auf seine Weise.
Bis meine Mutter mit der Stimme eines Kleinkindes sagt:
“Ich lasse ihn nicht hier. Ich nehm Karli wieder mit nachhause.“
Der schwarze Humorknopf vibriert und ich höre mich sagen:
„Mama, er wiegt über 130 kg und er wird bald steif. Er passt so nicht nicht ins Auto.“
Schockierte, betretene Blicke um mich herum.
„Ich will ihn aber mitnehmen. Er gehört zu mir“, beharrt Mama.
„Wie gesagt. Zu schwer und unhandlich, um unbemerkt hier rauszukommen. Solange können wir hier keinen ablenken..“
„Ich lasse ihn nicht hier. Er gehört zu mir nachhause“, weint Mama.
„Mama“, sage ich sachlich mit holpriger Stimme und Tränen in den Augen,“ über 130 kg, zu erwartende Totenstarre und irgendwann beginnende Verwesung. Lass ihm seinen Frieden. Er ist hier gut aufgehoben. Es geht ihm jetzt viel besser.“
„Du bist unmöglich. Ich will ihn behalten“, weint Mama verzweifelt.
Mein Bruder umarmt Mama und sie verlassen das Zimmer.
Ich stehe wie angewurzelt vor Papas Bett, nicke ihm unmerklich zu und flüstere stumm:”Ich hab dich lieb. Ich mach das schon. Ruh dich jetzt aus.”
An diesem Abend hält mich meine Familie einmal mehr für hart und herzlos.
Aber immerhin, auch das lenkt sie ab, von der klebrigen, schwarzen Trauer, die auf uns liegt.
Irgendeiner muss stark bleiben.
Das ist das Einzige, was ich noch für Papa tun kann.
Ich weiß nicht, ob die Anderen das verstanden haben.
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