Eine Babyblindschleiche,
nur ein Stückchen grösser als ein grosser Regenwurm,
schwarz mit silberweissem Bauch,
liegt vor mir auf der Strasse.
Ich wähne sie tot, überfahren.
Ich schiebe sie mit einem meiner Nordic Walking Stöcke in den Graben.
Plötzlich bewegt sie sich und ich erschrecke und sehe:
einige Dinge, die normalerweise IN der Schleiche sein sollten, liegen bei dieser Schleiche AUSSEN.
Ich überlege schnell, während sie sich in Schmerzen windet.
In Sekundenschnelle jagen mir folgende Bilder durch den Kopf:
Ich denke an die überfahrene Katze, die ich vor 16 Jahren im Nachbardorf auf der Strasse liegend fand. Zur Hälfte plattgefahren.
In einer Vollbremsung kam ich vor ihr zum stehen.
Es war später Abend.
Fassungslos sprang ich aus meinem Auto und überlegte, was ich tun konnte. Irgendjemand hatte diese Katze überfahren und hatte sie einfach dort liegengelassen. Damals heulte ich aus Wut und Verzweiflung.
Ich hielt ein weiteres Auto an. Ein Ehepaar aus Wuppertal.
Ich klingelte an der nächsten Haustür und bat um Hilfe.
Der Anwohner fragte, ob ich die Katze überfahren hätte. Ich verneinte.
Er holte einen Spaten und kratzte sie (im schrecklichsten Sinne des Wortes) von der Strasse.
Dann der absurde Moment: Das Ehepaar aus Wuppertal, meine Wenigkeit und der Anwohner stehen um die röchelnde Katze, der alle möglichen Dinge aus allen möglichen Körperöffnungen hängen.
Der Anwohner reicht mir mit Tränen in den Augen den Spaten:“Hier. Machen Sie. Ich kann das nicht.”
Ich halte den Spaten in der Hand. Ein “Knack” und das Tier wäre erlöst.
Kurz bin ich sicher, dass ich es kann, doch dann reiche ich den Spaten an den Wuppertaler Mann weiter und sage:“Es geht nicht!”
Der Wuppertaler Mann will den Spaten an seine Frau weiterreichen. Diese schüttelt hysterisch mit dem Kopf:“Wir haben selber eine Katze, wissen Sie. Ich kann das nicht.” Beiden laufen die Tränen die Wangen herunter.
Der Anwohner sagt:“Mein Nachbar ist Metzger. Der kann das bestimmt. Ich rufe ihn an.”
Der Metzger erlöste die Katze tatsächlich.
Die Katze von damals musste leiden, weil keiner von uns die finale Entscheidung fällen konnte bzw. wollte.
Dieses Mal ist es nicht so.
Ich halte die Luft an und schaue in den Himmel, während ich zutrete und
mich währenddessen bei der Minischleiche entschuldige.
Ich weiß, dass ich richtig gehandelt habe, dennoch fühle ich mich mies.
Und wieder eine Feststellung:
Es gibt Situationen, in denen sich “richtig” falsch anfühlt.
Es gibt Situationen, in denen sich keine einzige Handlung richtig anfühlt.
Das war eine dieser Situationen.
Eine kleine, aber sehr aufschlussreiche…..
Ich glaube, ich bin ein bekennendes Weichei.
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