Sie war um die 70 Jahre alt und besaß eine Stimme, die die versoffenste Puffmutter vor Neid hätte erblassen lassen.
Jahrzehntelanges Kettenrauchen und die FCKW Gase aller Haarsprays, die in den 60er-80er Jahren tonnenweise in ihrem Friseursalon versprüht worden waren, hatten ihr die rotzigrauchige Stimme einer bergischen Bonnie Tyler verpasst.
„Waart ens! Ich muß die Tittelatoren erst sortieren, bevor ich mich auf den Bauch legen kann!“,
schnarrt sie, während sie sich auf die Liege bettet. Der zierliche Körper mit der markanten Stimme liegt vor mir und aus dem Kopfloch dringen Geschichten und Lebensweisheiten zu mir hoch:
„Haste vorhin die Frau mit der Halleluja-Zwiebel auf dem Kopf gesehen?!“
„Die Frau mit der WAS-Zwiebel?“, frage ich.
„Die mit dem grauen Dutt….Halleluja Zwiebel…so nennt man dat. Wußtest De dat nicht?“
„Nö.“
„Is aber nit neu. Ejal. Also; früher, da haben wir uns immer gefragt, wer denn an die ranjehen würde. Viele dachten, dat die ungeöffnet zurück jeht. Irgendwie hat se dann doch einen abbekommen, und danach hat se jeworfen als ob et kein Morgen geben würde. Mann, mann, mann – heilige Wasser, still aber dreckig…“
„Vielleicht haben die aber auch einfach nix von Verhütung gehalten“, mutmaße ich.
„Verhütung! So wat nehmen die doch nicht in den Mund!“
„Damals vielleicht nicht, aber heute gibt es die sogar mit After Eight Geschmack“, sage ich.
„Verrücktes Huhn! Ich würd nix in den Mund nehmen, dat nach After schmeckt!“, lacht sie.
Ich reiße die Augen auf: „Du hast Kette geraucht! DU solltest eigentlich vor nix fies sein!!“
„Zigaretten schmecken nicht nach Hintern!“, ruft sie und grummelt leiser, „würden die nach Hintern schmecken, hätte ich zu Anfang von meinem Rauchverbot nur noch Ärsche jeleckt…. und nu bin ich mittlerweile fies vor den Glimmstengeln und kann den ganzen Rauch nicht mehr ertragen oder riechen……COPD- braucht kein Mensch!“
„Du bist das verrückte Huhn, Herzilein!“, sage ich.
„Ach, früher…da war ich verrückt , mit mir wollten se alle in de Büsche…und Ich?! Ich heirate den, der 13 Jahre älter ist! Eins sach ich Dir: Heirate nie jemanden, der 15 Jahre älter ist und sich auch so benimmt! Kink, ejal, wie alt die Kerle sich fühlen, dat hat nix mit Dir zu tun. Mach dein Ding! Du hast nur ein Leben.“
„Verstanden, Ma’am!“
„Mach dich nicht über mich lustig“, grummelt sie.
„Nie!“
„Verarschen kann ich mich alleine!“, ruft sie und dann,“kann ich mich gleich rumdrehen? Ich hab dat Gefühl, dat die Tittelatoren sonst noch tiefer hängen als vorher…“
„Ja. Dreh dich ‚rum. COPD reicht schon. Es wird übel, wenn Du auch noch anfängst, über deine Titten zu stolpern…“
Wir beide lachen laut und herzhaft.
„Du hast ne große Fresse!“, beschwert sie sich freundlich.
Ich grinse:“Du doch auch!“
Als kurz darauf ihr Mann starb, zog sie in eine kleine Wohnung, ließ die Wand in poppigem weinrot tapezieren, kaufte dazu eine Designmöbelkombination in weißer Lackoptik und einen großes Flat TV.
Während der Einrichtungsphase begleitete ich sie in ein großes Möbelhaus.
Es gibt Menschen, mit denen man gerne einkaufen geht. Es ist unspektakulär und eher nervenberuhigend.
Mit ihr war es jedoch anders. Es war safariähnlich….
Kaum in der Möbelabteilung angekommen, wurde ein Verkaufsberater ausgespäht.
Man stelle sich an dieser Stelle einen seeehr hungrigen Löwen vor, der eine schmackhafte Gazelle erblickt hat – obwohl, an dieser Stelle beginnt der Vergleich zu hinken, da Löwen sich leise an ihre Opfer anpirschen….
Dieser Löwe hier, im dezenten Leopardenfellimitatmantel, brüllte meist folgendes:“HEH!!!! SIE DA!!! JUNGER MANN/FRAU!!!!!“
Fremdschämend und belustigt zugleich, zuckte ich bei diesem Kampfschrei oft zusammen und murmelte Dinge, wie:“Nun lass uns doch erst einmal in Ruhe selber gucken…“
„NIX DA!!WOFÜR SIND DIE DENN HIER?! ICH BRAUCHE BERATUNG! HE DA!! SIE!! JUNGER MANN! NU KOMMEN SE DOCH MAL HER! ICH BRAUCHE HILFE!“
„ICH! ICH brauche Hilfe – und DU gleich auch, JUNGER MANN“, dachte ich, während mein Puls in die Höhe schnellte und ich einen ahnungslosen Verkäufer auf uns zu, direkt in sein Verderben, laufen sah……..
———–und ab hier muß ich in der Gegenwart erzählen…..——
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt er freundlich.
„Ja, NOCH lächelst Du“, denke ich, lächle gequält und sage:“Guten Tag!“
„AH! DA SIND SIE JA! ICH BRAUCHE EINEN SPIEGEL! WO IST DIE SPIEGELABTEILUNG?!“, ruft der 71jährige Löwe im Leopardenfellimitatmantel.
„Ähem, Sie stehen mittendrin“, bemerkt der Verkäufer freundlich.
„AH! SEHEN SIE! ICH SAG DOCH; ICH BRAUCHE HILFE!“
„Was soll es denn für ein Spiegel sein?“, fragt er freundlich.
„EIN SCHÖNER!“, schnarrt es neben mir selbstverständlich.
Ich gluckse und ernte einen giftigen Seitenblick.
„Welche Größe? Welcher Stil? Für welchen Raum soll er denn sein?“, fragt der Berater.
„WOHNZIMMER! GROSS! MODERN!“, ruft der Leopardenlöwe.
Mit dem bemühten Verkäufer durchqueren wir die Spiegelabteilung.
Nach einer halben Stunde, voller Kommentare, wie:“SEHE ICH SO ALT AUS; DASS SIE MIR SO EIN SCHÄBIGES DING VORSCHLAGEN?“ „OH; SO WATT ÄHNLICHES HABE ICH NEULICH NOCH AUF DEN SPERRMÜLL GESTELLT!“ oder „WIEVIEL SOLL DER KOSTEN?!?!SEH ICH AUS WIE KRÖSUS?!“, wirkt er schließlich leicht angestrengt, während ich mich zurücklehne und die Szenerie als Zuschauerin immer mehr genießen kann.
Plötzlich jedoch:“HIER! DER ISSET! YVOONNE! SACH DOCH AUCH MAL WAS!!“
Zwei erwartungsvolle, (einer davon erwartungsvoll-flehend), Blicke ruhen auf mir.
„Oh nee“, denke ich und mein Blick wechselt hektisch zwischen Spiegel, flehendem Verkäufer und erwartungsvollem Leopardenmustermantel.
Fassungslos durch den Anblick des ausgewählten Spiegels, schaffe ich es einfach nicht zu lügen:“Also, wenn man auf die 80er Jahre und Pornofilme steht, dann ist das ein absoluter Glücksgriff…Ich würde den nicht mal geschenkt nehmen….“
Der Verkäufer sackt leicht in sich zusammen. Entschuldigend verziehe ich zerknirscht mein Gesicht.
„PORNOFILM?! 80Er JAHRE?! ACH! DU HAST DOCH KINNE AHNUNG UND KINNEN GESCHMACK!“, brüllt der Leopardenlöwe empört neben mir.
„Du hast mich gefragt“, erwidere ich schulterzuckend.
„WIR NEHMEN DEN!“
„Von WIR kann keine Rede sein“, sage ich,“ich distanziere mich von diesem Kauf! Seit ich das Ding gesehen habe, muß ich an Rocco Siffredi denken….“
„ET JÜTT SCHLIMMERES!“, ruft sie und zuckt zusammen, als sie meinen erstaunt amüsierten Seitenblick bemerkt.
„WATT?!“
„Nix“, sage ich und wende mich an den Verkäufer, der uns, sichtlich erleichtert, den Spiegel zur Kasse trägt:
„Rocco Siffredi ist italienischer Pornodarsteller“, erkläre ich ihm und zische leise, „und ich frage mich, woher sie den kennt…“
Er grinst verlegen, als neben uns ertönt:“ICH BIN WEDER TOT NOCH TAUB!….SIE TRAGEN UNS DAS DING SICHERLICH AUCH NOCH INS AUTO; JUNGER MANN ?! DANKE SCHÖN!“
Er trug den Spiegel ins Auto und erklärte, daß er dieses Beratungsgespräch niemals vergessen würde.
„Und Rocco Siffredi“, sagte ich.
„Und Rocco Siffredi“, wiederholte er grinsend.
„ET JÜTT SCHLIMMERES!“, tönte es vom Beifahrersitz aus……
Es ist jetzt über 4 Jahre her, doch manche Ereignisse sind so präsent, als seien sie erst gestern gewesen.
Sie war anstrengend und großartig zugleich, ein unvergessliches Unikat.
Im Sommer 2012, nur wenige Monate nachdem die Wand in ihrem neuen Wohnzimmer weinrot tapeziert worden war, wenige Monate nach dem Kauf des Spiegels, starb sie.
Und ich erbte den Leopardenteddyfellimitatmantel und den Rocco Siffredi Spiegel (der mittlerweile gottseidank verschollen ist.)
Schwarzen Humor nennt man das, glaube ich….
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