Ich mag es, wenn Männer weinen.
Für mich ist es dann so, als öffnet sich in meinem Beisein eine hermetisch verriegelte Geheimtür mit tausend Schlössern.
Gestern war so ein Tag, ein Tag, an dem viele Männer weinten.
Ich weinte natürlich auch, aber das ist nun wirklich nichts besonderes, da ich vergleichsweise oft weine. Ich bin halt “nah am Wasser gebaut”.
Ein schöner Ausdruck finde ich, weil er besagt, dass man eine Heulsuse ist, aber dadurch trotzdem das Gefühl hat, man wohne am Strand mit dem Ozean direkt vor der Haustür.
Gestern befand sich der Ozean in einer Kirche und auch wenn ich nachträglich viele Bilder dieses Tages in meinem Kopf behalten werde, so wird es eines ganz besonders sein. Ein Mann, den ich nie zuvor gesehen habe, sitzt in der Kirchenbank. Man erkennt, dass er nicht oft weint…vielleicht tut er es auch nie. Er hat ein zerknülltes Papiertaschentuch in der Hand.
Sein Gesicht ist gerötet, er reibt sich die Augen hinter seiner Brille. Er drückt auf seine Schläfen, er nimmt die Brille ab und steckt sie in die Manteltasche. Er reibt sich mit dem Taschentuch über die Augen, hält es vor seinen Mund, als müsse er laut husten. Er setzt die Brille wieder auf.
Und dann, als die ersten Takte von “So wie du warst” von Unheilig durch die Kirche hallen, dann scheint ein jahrelanger Bann gebrochen.
Endlich lässt der Mann den Tränen freien Lauf und zerknüllt das Taschentuch in seiner Hand, nur zwischendurch hält er es noch an seinen Mund, um die Schluchzer zu ersticken.
In all der Trauer spüre ich für einen kurzen Moment, dass sich die hermetisch verriegelte Geheimtür für einen kurzen Moment geöffnet hat – und ich hoffe inständig, dass dieser Mann sie nicht wieder für lange Zeit verschliesst.
Trauer.
Jeder trauert auf seine Weise.
Einige Verhaltensweisen können wir oft nicht nachvollziehen.
Die einen stürzen sich in hektische Aktivität, die anderen versinken in Schockstarre und laufen mit Tunnelblick durch die Welt, andere verkünden ihre Gefühle lautstark, ob schriftlich oder mündlich (dazu gehöre ich)…
Gestern habe ich mal nachgedacht. Was ist Trauer?
Trauer ist grössenteils positiver Egoismus, wir beweinen UNSEREN Verlust, wir beweinen UNSERE eigene Angst vor dem Tod, wir beweinen natürlich auch den Verlust den die Familienmitglieder erlitten haben und natürlich den/die Freund (in), die viel zu früh oder nach langer Krankheit gestorben sind. WIRr weinen, weil WIR sie vermissen werden und weil WIR uns oft ein Leben ohne sie nicht vorstellen können und weil NICHTS mehr so sein wird wie zuvor.
All das ist notwendig, damit WIR weitermachen können.
Weil WIR die sind, die hier zurückgeblieben sind und weil es UNSERE Aufgabe ist, uns an die Freunde zu erinnern, die vor uns gegangen sind und einen Teil von ihnen in unseren Herzen mitzunehmen-
damit sie niemals vergessen werden.
Was wir also wirklich tun können, ist:
-trauern
-uns erinnern
-weitermachen
Man trauert und man weint, weil auch DAS getan werden MUSS.
Damit unsere Seele mit allem Schritt halten kann, wenn es weitergeht –
und es geht weiter, weil es weitergehen MUSS.
Ich werde diesen Text jetzt nicht mehr überlesen und einfach einstellen.
Ich hoffe, dass es einigermassen verständlich ist.
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