Ich habe eine Nachbarin.
Herta ist Mitte 60, sehr dünn, sehr perfektionistisch und sie trägt, neben einer oft gerümpften Nase, zusätzlich auch noch ein Paar tief nach unten gezogene Mundwinkel vor sich her.
Sie putzt ihre Fenster in einem festgelegten Rhythmus und mit beinahe meditativer Inbrunst.
(Inbrünstiges Fensterputzen kann eine Art Religion sein; denn es erschafft die Illusion von Kontrolle in einer unkontrollierbaren Welt.)
Für mich ist es jedesmal eine wahre Freude, ihr dabei zuzuschauen.
Wieso ist das wichtig?
Nun ja, vor einigen Jahren erfuhr ich folgendes:
Nachbarin X (70):“Ich habe von Nachbarin Z gehört, dass Herta ihr gesagt hat, dass sie DICH noch nie Fenster putzen gesehen hat!”
Wütend kontere ich:“ Und ich habe sie noch nie poppen sehen, und doch hat sie Kinder.”
Schallendes Lachen ertönt von Nachbarin X, die sagt:“DER hätte von MIR sein können…”
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Zurück in der Gegenwart:
Seit dem damaligen Gespräch räche ich mich auf MEINE Art.
Jedesmal, wenn Herta hoch oben auf ihrer Fensterbank im ersten Stock herumturnt und sich vorbeugt, um Fensterbank und Rahmen zu reinigen, stehe ich mit einer Tasse Kaffee in der Hand in meiner Ladentür und rufe:“Fall bloss nicht raus, Herta!!” oder “ Du kannst gleich direkt bei mir weitermachen!”
Meistens brüllt sie dann zurück :“Das hättste wohl gern, was?!”
In Momenten wie diesen, nehme ich einen tiefen Schluck aus meiner Tasse mit dampfendem Kaffee und grinse; oder ich rufe zurück:
“Und wie! Aber eigentlich müssen meine noch nicht. Das Jahr ist noch nicht rum!”
Oft ertönt dann ein lautes, schnappgeatmetes:“Mein Gott!! Das kann doch nicht dein Ernst sein! 1x im Jahr Fenster putzen!!” von oben.
Wenn ich bei solchen Begegnungen RICHTIG GROSSES Glück habe, dann kommt auch noch Nachbarin H. vorbei, die nach oben ruft:
“Fall bloss nicht raus, Herta, jaaaa jaaaa! Putzt de wieder Fenster? jaa jaaa. Ich muss auch bald, jaaa jaaa! Aber nicht mit meinem Knie, neee neee!”
Dann sieht H. mich und sagt:“Na?! Putzt du auch Fenster? Jaa, jaa!”
“Nee, das Jahr….”, fange ich dann an.
“Nee, nee. Musst ja auch noch nicht. Jaa, jaa!”
“Genau. Jahr ist ja noch nicht rum”, bringe ich den Satz rasend schnell zuende.
“Jaa, jaa… Jahr noch nicht rum, nee nee! Du bist ma ein verrücktes Huhn, jaaa jaaa!”, sagt H. lachend und von oben höre ich ein empörtes:“Unmöglich,sowas!!!”
Die Begegnungen verlaufen jedesmal ähnlich.
Und ich gebe offen und ehrlich zu: ich LIEBE es!
Ich liebe meine Nachbarin und ihren Putzfimmel und ich liebe es, sie mit meiner “Laisser faire”-Einstellung zum Fensterputzen auf die Palme zu bringen.
Und während ich dieser kleinen, insgeheimen Rache nachgehe und demonstrativ herumstehe und süffisant Kaffee trinke und NICHTS tue, spüre ich die strafenden Blicke von der Fensterbank über mir,…..-und dann weiss ich, dass ich zuhause bin und ich habe ein warmes Gefühl in meinem Bauch.
Aber da ich ein nachtragendes, kleines Miststück sein kann, habe ich meine geheime Rache um einen kleinen, perfiden Zusatz erweitert:
Ich versuche nämlich, immer GENAU DANN meine Fenster zu putzen, wenn sie NICHT zuhause ist.
Klingt bekloppt, ist aber so……
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